Ethnisierte Gesundheitsversorgung und die „türkisierte“ Arzt-Patienten-Beziehung in Deutschland
DOI:
https://doi.org/10.60837/curare.v42i1+2.1627Schlagworte:
Migration, medizinische Profession, Ethnizität, türkische Herkunft, Arzt-Patienten-VerhältnisAbstract
Während in der derzeitigen Diskussion um Medizin und Migration die Herausforderungen der interkulturellen Gesundheitsversorgung im Mittelpunkt stehen, wie etwa Sprachbarrieren und medizinkulturelle Unterschiede, steht hier die intrakulturelle Arzt-Patienten-Beziehung im Zentrum des Erkenntnisinteresses. Am Beispiel von niedergelassenen Ärzt/innen türkischer und Patient/innen der gleichen Herkunft wird herausgearbeitet, wodurch diese sich konstituiert. Die Erkenntnisse basieren auf leitfadengestützten Interviews mit 29 (post-)migrantischen Ärzt/innen sowie drei Experteninterviews mit Vorsitzenden deutsch-türkischer Ärzteorganisationen. Das Verhältnis der Ärzt/innen zu ihren Patient/innen ist durch eine Ambivalenz charakterisiert, die sich aus ethnisierender Vergemeinschaftung und professioneller Distanzierung ergibt: Die Patient/innen suchen die Ärzt/innen aufgrund ihrer türkischen Herkunft auf, weil sie sich durch deren Kenntnisse der türkischen Sprache und Kultur eine vereinfachte Behandlung erhoffen. Aufgrund dessen haben die Ärzt/innen im Praxisalltag eine überaus stabile Patientenbasis und dementsprechend einen Wettbewerbsvorteil. Sie nehmen eine Mittlerfunktion zwischen der Bevölkerung türkischer Herkunft und dem Gesundheitssystem ein. Als Mitglieder der medizinischen Profession, die dem Gemeinwohl verpflichtet ist, sowie als Angehörige einer ethnisierten Minderheit argumentieren sie, dass die Bevölkerung türkischer Herkunft dem durch sie garantierten Zugang zu medizinischer Versorgung bedarf. Andererseits sehen sie sich mit einer hohen Erwartungshaltung seitens der Patient/innen konfrontiert, deren ethnisierende Vergemeinschaftung sich auch in eindringlichen Forderungen ausdrücken kann – die die Ärzt/innen jedoch zurückweisen, sobald ihr professionelles Selbstverständnis infrage gestellt wird. Letztlich resultiert das „türkisierte“ Arzt-Patienten-Verhältnis aus vielschichtigen Ethnisierungsprozessen, die durch die Bedingungen des deutschen Gesundheitssystems gerahmt sind – wie beispielsweise die freie Arztwahl oder das Zusammenspiel von Gemeinwohlorientierung und Wettbewerb. Vor diesem Hintergrund findet gewissermaßen eine Sortierung „von unten“ statt, die in ethnisierten Versorgungsstrukturen resultiert.
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