Die Wörter, der Zauber, das Leben: Jeanne Favret­-Saada zwischen Hexereiforschung und Psychoanalyse

Die Wörter, der Zauber, das Leben

Jeanne Favret­-Saada zwischen Hexereiforschung und Psychoanalyse

Authors

  • Erhard Schüttpelz Medienwissenschaften, Universität Siegen
  • Ehler Voss Universität Siegen

DOI:

https://doi.org/10.60837/curare.v40i4.1764

Keywords:

Hexerei, Magie, Entzauberung, Psychoanalyse, Heilung, Irreparabilität, Jeanne Favret-Saada, Jacques Lacan, symmetrische Anthropologie, Frankreich

Abstract

Zwischen 1969 und 1972 forschte die französische Ethnologin und Psychoanalytikerin Jeanne Favret-Saada zur Hexerei im französischen Hainland. „Die Wörter, der Zauber, der Tod“, ihre ethnographische Monographie von 1977, wurde für die konsequente Umsetzung der ethnographischen Methode gelobt, insbesondere für die durchgängige Thematisierung und Begründung ihrer variablen Position als Forscherin. Es handelt sich um ein von vielen Seiten anerkanntes Meisterwerk, das aber nur selten als Ganzes gelesen und noch seltener in Seminaren unterrichtet wurde, ein Vorbild, das allerdings aufgrund seiner Radikalität keine Anleitung zur Nachahmung zu beinhalten schien. In ihrem Text setzt Favret-Saada Ethnographie gegen Ethnographie. Hin- und hergerissen zwischen Verstehen und Erklären, Holismus und offensiver Fragmentarisierung, Anwaltschaft und literarischer Distanz, ist ihr Text Anklage und Exorzismus zugleich, ein Angriff auf alle damaligen Sozialwissenschaften und ein Exorzismus ihrer eigenen Sozialisation, das Dokument einer metaphysischen Rebellion. 2009 erschien die schon in ihrem ersten Buch angekündigte Fortsetzung zur Theorie der Enthexung, mit dem sie das Ende ihrer Beschäftigung mit dem Thema bekanntgab. Das Buch beruht nicht auf neuer Feldforschung, sondern fasst die Ergebnisse ihrer Studien nach Erscheinen des ersten Buches zusammen. Dieser Rückblick von Seiten der Autorin ist für uns ein Anlass, ebenfalls zurückzublicken und die Frage zu stellen, was aus dem Korpus der Autorin vierzig Jahre später geworden ist. Was war damals möglich, was niemals vorher und nachher möglich zu sein schien, und was haben wir in der Zwischenzeit übersehen? In Favret-Saadas Veröffentlichungen bleiben psychoanalytisches Vokabular und ethnographische Beschreibung streng getrennt, obwohl es naheliegt, die Reflexivität der ethnographischen Darstellung auf ihre gleichzeitige psychoanalytische Ausbildung zu beziehen. Im Gegenzug stößt man bei einer Relektüre der Schriften von 1977 auf eine reflexive Darstellung der psychoanalytischen Ausbildung, die psychoanalytische Motive mit den ethnologischen Ergebnissen der Feldforschung verknüpft. Die strikte Trennung der beiden Wissensformen, die Favret-Saada in allen ihren Publikationen beachtete, ermöglichte 1977 eine einmalige Verknüpfung und Symmetrisierung, die tiefgreifende Folgen für die medizinethnologische und die Hexereiforschung, aber auch für die Geschichte der französischen Psychoanalyse haben sollte.

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Published

2024-08-20

Issue

Section

Medizinethnologie zwischen Ethnopsychotherapie, Magie und Psychoanalyse
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